Herzklopfen.
„Herein!“ Noch mehr Herzklopfen, rauschen in den Ohren. „Was gibt´s, Frau Körner?“
„Also… ich... ich muss Ihnen etwas mitteilen… also, es ist so, mein Kollege, Sie wissen ja, wir sitzen in einem Zimmer, und es ist so, dass wir ja gerade ziemlich viel zu tun haben und es kommt leider häufig vor, dass ich allein in unserem Büro sitze mit der ganzen Arbeit und er in Küche ist beim rauchen oder in der Buchhaltung auf einen Ratsch… und dann bleibt halt viel liegen und die Kunden … und nunja, ich finde es schwierig da so mit ihm zusammenzuarbeiten und das so mitzubekommen… und weiß jetzt auch nicht, was ich da machen soll, wenn so viel Arbeit liegen bleibt. Und Sie sind ja der Chef…“
„Verstehe. Ja, gut dass Sie mir das gesagt haben! Ich kümmere mich darum. Schönen Feierabend!“
„Guten Morgen!“ Keine Reaktion. Stattdessen hat die Kollegin aus der Buchhaltung mich im Treppenhaus giftig angeschaut und dann demonstrativ ignoriert. Herzklopfen.
Ich öffne die Tür. „Morgen!“ Mein Kollege dreht sich nicht um, als ich das Büro betrete. Es sticht in mein Herz. Ich mag ihn eigentlich! Er ist ein lustiger, netter Typ. Wir haben schon viel gelacht miteinander. Allein seine Arbeitsmoral bringt mich zur Weißglut. Und dieses rauchen. In unserem gemeinsamen Büro.
Seit Wochen schon hat sich immer wieder mein Verständnis von Arbeitsmoral gemeldet und mich angestachelt, innnerlich gepiekst und auf meiner Sympathie ihm gegenüber anklagend rumgehackt. „Das geht doch so nicht! Man muss doch seine Arbeit machen, dafür wird man doch bezahlt! Und der Chef weiß das nicht, der kriegt das ja gar nicht!“ rief es in mir und meine Sympathie ihm gegenüber wurde jedes Mal ein bisschen kleiner. „Und es ist doch deine Pflicht, das weiterzugeben, er schadet doch der Firma, wie soll der Chef das denn sonst ändern!?“ Meine Loyalität dem Chef, der Firma und den Kunden gegenüber ist groß. Aber ich hatte Bedenken. „Ich kann ihn doch nicht einfach hinhängen!“ Andererseits… „Wenn er arbeiten würde, wie es seine Pflicht ist, würde ich es ja gar nicht machen müssen! Er bringt mich in dieses Dilemma! Selbst Schuld!“ So ging das zu in mir. Gedanken, Gefühle, ein hin und her, es war anstrengend und der gefühlte Druck, endlich etwas zu tun, eine Entscheidung zu treffen, war groß geworden. Meine Sympathie hat sich inzwischen irgendwo verkrochen, gegen meine inneren Ankläger hatte sie keine Chance mehr. Ich steckte ganz schön in der Klemme. Und hatte mich entschieden.
Er schaut weiter auf seinen PC, blättert in Listen, telefoniert. Kein Wort. Kein Blick. Den ganzen Tag. Ich fühle mich elend. Der Arbeitsmoralapostel in mir versucht, mich zu beruhigen und rechtfertig, was ich getan habe. Vergebens. Es fühl sich schäbig und falsch an. Aber es gibt kein Zurück.
Das ist jetzt über 20 Jahre her. Was wäre richtig gewesen, damals? Das habe ich mich oft gefragt.
Heute begegnet mir das Thema wieder - im Coaching von Führungskräften, in Supervisionen, auf Teamtagen, in Weiterbildungen. Was soll man tun, in so einem Dilemma? Das Thema ist auch heute ein Dauerbrenner.
Ich habe immer mit Schmerz, Scham und Bedauern auf diese Situation zurückgeblickt, aber auch lange mit Ratlosigkeit. Was ist mit Loyalität? Und wem gegenüber? Gibt es etwas, was dieses Dilemma für alle Beteiligten zufriedenstellend hätte auflösen können?
Wenn ich jetzt Menschen als systemischer Coach begleite, kann ich sagen: Ja, das gibt es. Und es ist gar nicht kompliziert! Neben Fachwissen und vielen praktischen Erfahrungen aus der Arbeit mit Menschen im beruflichen Kontext hilft mir vor allem dieses persönliche Dilemma vor über 20 Jahren, glaubhaft zu vermitteln, dass es besser gehen kann.
SIMPEL but NOT EASY: „Sprechen Sie zuerst offen -und allein- direkt mit dem Menschen den es betrifft.“ „Sagen Sie aus ihrer ganz subjektiven, persönlichen Sicht, was Sie stört – und was genau das Problem daran für Sie ist“ „Formulieren Sie Ihre Wünsche, Bitten, Erwartungen. Direkt!“ Das ist der erste Schritt. Nicht der einzige. Aber der wichtigste.
Wie gesagt, simpel but not easy! Ich weiß… Menschen spüren oft schnell, dass es anders gehen kann (und lohnenswert ist). Dann tauchen manchmal inneren Hürden auf: Wie kann ich mich das trauen? Wie kann man das schaffen - Freundlich, fair und klar die eigenen Wünsche oder berechtigte Kritik oder persönliche Grenzen und Befindlichkeiten direkt anzusprechen? Deshalb fängt hier die eigentliche Coaching-Arbeit auch oft erst an. Aber das... ist eine andere Geschichte.
Sollte ich meinen Kollegen von damals heute auf der Straße wiedertreffen, würde ich ihn gern auf einen Kaffee einladen und ihm all das erzählen.
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