"Ja klar! Kein Problem!" versicherte die Teilnehmerin. Sie verschlang die Arme und zog die Schultern leicht nach oben. Es war stickig gewesen. Ihre Kollegin hatte vorgeschlagen, das Fenster zu kippen. Seitdem saß sie in diesem leichten Luftzug, der am Nacken so grässlich ist.
"Geh raus!" schallt es von oben durchs Haus, als ich mit meinem Supervisionskoffer in der einen Hand und dem Brot & einer Packung Taschentücher in der anderen Hand den Flur betrete.
"Nein!" höre ich den Wirbelwind oben brüllen.
"Doch!" sagt das Pubertier trocken.
Ich weiß, was nun folgen wird.
"Wieso?" fragt der Wirbelwind.
"Weil ich es will! Ich will meine Ruhe. Das ist mein Zimmer!" antwortet das Pubertier.
Ich räume Koffer, Brot und Taschentücher weg und denke nach. Als ich die Teilnehmerin mit den verschlungenen Armen vor dem gekippten Fenster ermutigend fragte, was sie bräuchte oder möchte, sagte sie "Alles gut!"
Sie hatte ihren Blusenkragen inzwischen hochgeklappt. Ich schaute sie an und ließ die Szene in mich einsinken. Etwas hielt sie davon ab, für sich selbst zu sorgen. Sie hielt weiter tapfer aus. Aber wozu? Würde jemals eine Kollegin nach der Supervision aufstehen und sagen: "Mensch, das war wirklich Klasse von dir, wie du das so tapfer ausgehalten hast! Toll, dass du für mich gelitten hast!"
"Geh jetzt endlich gefälligst aus meinem Zimmer!" und solche Geräusche, die entstehen, wenn zwei sich raufen, reißen mich aus meinen Gedanken. Das Pubertier ist offensichtlich keineswegs bereit, die Ruhestörung einfach tapfer auszuhalten. Dafür nimmt sie in Kauf, dass der Wirbelwind sich ärgert.
Als Begleiter kann man in Supervisionen die Muster sehen, mit denen die Menschen auch ihren Arbeitsalltag meistern. Alle Verhaltensmuster stiften Nutzen und machen subjektiv Sinn. Allerdings gibt`s nichts umsonst und jedes Verhaltensmuster hat seinen Preis. Es kostet etwas, Kraft zum Beispiel oder, dass ich nicht bekomme, was ich eigentlich brauche.
Nach ihrem "Alles Gut!" schaute ich die Teilnehmerin an. Und sagte dann:
"Sie halten das ganz schön tapfer aus...dort auf ihrem zugigen Platz... "
Sie holte tief Luft, Tränen stiegen ihr in die Augen. Wenn ein Mensch sich tatsächlich gesehen fühlt, spürt er eine Verbindung und etwas geht auf. Sie hatte gehört: Ich sehe deine Anstrengung, wie du kämpfst... Wieviel Kraft es dich kostet....Ich sehe dich, wie du da in diesem anstrengenden Dilemma steckst.
"Ja,..." sagte sie, "Ja ich glaube... ich bin ziemlich oft tapfer... " Pause. "Auch im Büro, wenn es so viel ist und jeder noch was auf meinen Schreibtisch legt und was braucht... ich weiß ja, dass ihr auch alle viel Arbeit habt... da halte ich einfach tapfer weiter durch...und sage nichts."
Es war ganz still jetzt. Nicht unangenehm, sondern eine Stille voll Nähe und Erkenntnis. Alle waren präsent, wach, achtsam. In Kontakt mit sich, ihrer Kollegin und der Situation. Sie hatten live ein Muster erlebt - und ALLE kannten es! Groß & tapfer sein. Durchhalten. Nichts sagen. Oder "Alles gut!"
So waren alle sofort auch Betroffene. Es entwickelte sich ein konstruktiver Dialog voll Offenheit und Wärme über Sinn und Unsinn des Tapfer-Seins im Alltag. Und in bestimmten Arbeitssituationen, die sie miteinander täglich erleben. Es wurden Gedanken offengelegt, Vermutungen und Befürchtungen geteilt und richtiggestellt und über Alternativen nachgedacht. Es wurde sogar gelacht, da manches Tapfersein jetzt offensichtlich ziemlich skurril erschien.
Ich decke inzwischen den Tisch fürs Abendbrot. "Die Hanna ist blöd"! beschwert sich der Wirbelwind.
"Weil sie ihre Ruhe haben will?"
"Nein, weil sie nicht mit mir spielt!"
"Und es ist ihre Pflicht, mit dir zu spielen? Egal ob sie Lust hat oder müde ist?"
"Ach Mama... du wieder..." mault der Wirbelwind halb geschlagen, halb bockig. "Ich will das jetzt halt einfach! Mir ist langweilig!"
"Wie könnte denn Hanna ihre Ruhe haben UND du etwas spielen?"
"Warte kurz..." Weg ist sie und gleich wieder da. "Ich bin rot! Und der Holzwürfel ist meiner! Das ist nämlich ein Zauberglückswürfel!"
Die Supervision endete übrigens damit, dass sie ein Zeichen suchten. Sie wollten sich ab sofort gegenseitig ermutigen, aufrichtig Bedrüfnisse und Grenzen zu äußern. Jedes mal, wenn eine von ihnen in Zukunft voreilig oder aus falscher Rücksichtnahme "Ja, nein, kein Problem!" oder "Passt schon! Alles gut!" rufen würde, sollte ein Zeichen oder eine Geste sie ermutigen und an heute erinnern, wo sie so viel Nähe und Aufrichtigkeit erlebt hatten. Ic bin gespannt, was sie sich haben einfallen lassen.
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